Mutmassliche Putin-Spione verhaftet «Man muss davon ausgehen, dass sie nicht das einzige Team sind»

Philipp Dahm

19.4.2024

Deutsch-Russen sollen spioniert haben – Botschafter einbestellt

Deutsch-Russen sollen spioniert haben – Botschafter einbestellt

Ein neuer Fall mutmasslicher russischer Spionage schlägt hohe Wellen – auch in der Politik. In Bayern hat die Polizei zwei Männer festgenommen, die für Moskau mögliche Anschlagsziele in Deutschland ausgekundschaftet haben sollen.  Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) sprach von einem besonders schweren Fall der mutmasslichen Agententätigkeit für Russland.

19.04.2024

Sie sollen Ziele für Anschläge aufgeklärt haben, wurden aber seit Ende 2023 vom Verfassungsschutz beobachtet: Nach der Verhaftung zweier Deutschrussen fürchtet Berlin, es gibt noch mehr mutmassliche Spione.

Philipp Dahm

19.4.2024

Keine Zeit? blue News fasst für dich zusammen

  • Deutsche Sicherheitskräfte haben am 17. April in Bayreuth zwei Deutschrussen verhaftet, denen Spionage vorgeworfen wird.
  • Dieter S. und Alexander J. sollen Ziele für Sabotageakte ausgespäht haben – darunter die US-Basis in Grafenwöhr.
  • Das Duo soll seit Ende 2023 vom zuständigen deutschen Verfassungsschutz beobachtet worden sein.
  • Die rund 2,5 Millionen Deutschrussen sollen für Wladimir Putins Propaganda empfänglich sein.
  • Experten befürchten, es gebe in Deutschland noch mehr derartiger Teams, die für Moskau arbeiten.

Die deutsche Spionageabwehr hat die beiden Männer seit Ende 2023 im Visier, weiss der «Spiegel». Am 17. April schnappt die Falle schliesslich zu: In Bayern werden zwei Deutschrussen verhafte. Der Vorwurf: Das Duo soll für Russland Sabotageakte in Deutschland geplant haben. Es gilt die Unschuldsvermutung.

Einer von ihnen ist Alexander J. aus Bayreuth. Wer sieht, wo der 37-Jährige gelebt hat, kommt nicht auf die Idee, dass hier ein mutmasslicher Spion leben könnte. Alexander J. wohnt bei den Eltern: Die Wohnung ist bieder und einfach eingerichtet. «Die Polizei war gestern hier», sagt Olga J., die Mutter des Verhafteten, der «Bild». «So um zehn oder halb elf, das war für uns total überraschend.»

Polizeiwagen verlassen am 18. April den Bundesgerichtshof in Karlsruhe: Die beiden Spionageverdächtigen wurden in der Justizvollzugsanstalt Hof in Bayern untergebracht.
Polizeiwagen verlassen am 18. April den Bundesgerichtshof in Karlsruhe: Die beiden Spionageverdächtigen wurden in der Justizvollzugsanstalt Hof in Bayern untergebracht.
KEYSTONE

Die Familie ist demnach 2001 von Russland nach Deutschland übergesiedelt, als Alexander ein Teenager war. Heute hat er selbst drei Kinder: Vor vier Jahren ist er in die Drei-Zimmer-Wohnung der Eltern gezogen. Er macht «irgendwas mit Logistik», sagt die Mutter.

Mit dem Besuch der Polizei habe sie nicht gerechnet: «Die Beamten waren den ganzen Tag da, haben alles durchsucht, haben Papiere und ein Notebook mitgenommen. Sie haben uns nur gesagt, dass es um Spionage geht.» Ihr Sohn habe sich viel um seinen eigenen Nachwuchs gekümmert. «Und er spielte gerne ‹Panzer Rush› am Computer.»

US-Basis in Grafenwöhr im Visier

Der «Spiegel» weiss jedoch, dass Alexander J. gar nicht so unbescholten ist: Vor Jahren soll gegen ihn wegen des mutmasslichen Einführens der Droge Crystal Meth nach Deutschland ermittelt worden sein, doch die Sache wurde eingestellt. Nun wirft ihm der Generalstaatsanwalt vor, zusammen mit Dieter S. Ziele für Anschläge aufgeklärt zu haben.

Darunter soll etwa ein US-Stützpunkt in Grafenwöhr gewesen sein, wo Ukrainer am M1 Abrams ausgebildet werden. Dieter S. soll Bilder und Videos weiterer Ziele bereits an seinen mutmasslichen Führungsoffizier geschickt haben, schreibt der «Spiegel». Auf den Aufnahmen seien Militärtransporter und Rüstungsgüter zu sehen, heisst es weiter.

Grafenwöhr mit seiner US-Basis liegt in der Nähe von Nürnberg und ist gut 270 Kilometer von der Schweizer Grenze entfernt.
Grafenwöhr mit seiner US-Basis liegt in der Nähe von Nürnberg und ist gut 270 Kilometer von der Schweizer Grenze entfernt.
Google Earth

Dieter S. ist 39 Jahre alt und wird ebenfalls in Bayreuth verhaftet. Laut «Spiegel» ist er in Russland aufgewachsen, hat in Bayreuth studiert und soll 2020 für Separatisten in der Ostukraine gekämpft haben. Weiter pflege der Mann aus Heinersreuth nahe Bayreuth Kontakte zu einem russischen Motorradklub in Bayern.

«Schlicht ungeheuerlich»

Die Verhaftung des Duos hat im politischen Deutschland ein kleines Beben ausgelöst. «An die ständigen Desinformationskampagnen und Cyber-Attacken aus Moskau hat sich die Regierung schon gewöhnt», stöhnt der «Spiegel». «Aber Anschläge auf Militäreinrichtungen in Deutschland? Das wäre eine dramatische Eskalation.»

Grünen-Fraktionsvize Konstantin von Notz, der auch Chef des Geheimdienstkontrollgremiums im Bundestag ist, sagt dem Hamburger Magazin: «Es wäre schlicht ungeheuerlich, wenn Russland in Deutschland solche Aktionen tatsächlich plant und konkret umzusetzen sucht.»

Könnte Wladimir Putin noch mehr der rund 2,5 Millionen Deutschrussen für seine Zwecke angeworben haben? «Wir sollten nicht hinter jedem Gebüsch Schreckliches vermuten, aber diese Gefahr ist absolut realistisch», schätzt Marie-Agnes Strack-Zimmermann die Lag ein. «Deutschland war hier in der Vergangenheit viel zu naiv», ergänzt die FDP-Politikerin und Chefin des Verteidigungsausschusses bei «Bild».

«Russland instrumentalisiert sie und hetzt sie auf»

«Russland ist schon lange mit seinen Geheimdiensten in Deutschland unterwegs, wirbt Leute mit russischem Hintergrund an, instrumentalisiert sie und hetzt sie auf», fügt Nico Lange, früherer Chef des Leitungsstabs im Verteidigungsministerium, hinzu.

Erich Schmidt-Eenboom warnt derweil, dass das Ganze nur die Spitze des Eisberges sein könnte. «Man muss davon ausgehen, dass Dieter S. und sein Komplize nicht das einzige Team sind, das die russischen Nachrichtendienste für solche Zwecke in der Bundesrepublik eingesetzt haben», erklärt der Geheimdienst-Experte dem «Bayrischen Rundfunk».

Bereits 1992 soll der damalige russische Geheimdienst KGB die Russlanddeutschen zu einem «guten nachrichtendienstlichen Einfallstor» erklärt haben. Das hätte sich zuletzt bei den prorussischen Demonstrationen im Nachbarland gezeigt. Schmidt-Eenboom wertet die versuchten Anschläge als «Kriegserklärung in einem hybriden Krieg».

Der Ex-Soldat warnt: «Die russische Föderation ist angefangen vom Staatschef Putin ein reiner Spionagestaat, der gigantische Mengen von nachrichtendienstlichen Methoden und Menschen in der Bundesrepublik einsetzt.» Die Russlandfreundlichkeit der AfD sieht der Experte als ein «Sicherheitsrisiko für Deutschland».